Urlaubsanspruch, Verfall durch Verjährung?

23.12.2022, FA Andreas König

Urlaubsanspruch, Verfall durch Verjährung?

In diesem Beitrag geht es um eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22.09.2022 und des BAG vom 20.12.2022.
Gegenstand der Entscheidung war ein Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 29.09.2020.

In dem Fall ging es um die Urlaubsansprüche einer Steuerfachangestellten und Buchhalterin die für eine deutsche Steuerkanzlei bis 2017 tätig war. Der ihr zu gewährende gesetzliche Urlaub in den Jahren 2013 bis 2017 konnte nur zum Teil gewährt werden. Insgesamt waren noch rund 100 Urlaubstage offen.
Die Arbeitgeberin hat sich auf die Verjährung des Anspruchs gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB berufen.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte die Arbeitgeberin verurteilt. Die dagegen von der Arbeitgeberin eingelegte Revision wurde vom BAG angenommen und dem EuGH mit der Rechtsfrage vorgelegt, ob das Deutsche Recht der allgemeinen Verjährung von drei Jahren mit Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG vom 04.11.2003 zur Verjährung von Urlaubsansprüchen vereinbar ist.
Dieses Vorabentscheidungsersuchen hat der EuGH nunmehr am 22.09.2022 entschieden und festgestellt, dass das Verjährungsrecht nur unter bestimmten im Nachfolgenden näher bezeichneten Voraussetzungen zur Anwendung zu bringen ist.

Das BAG hat nun mit zwei Entscheidungen vom 20.12.2022 die obige Sache der Steuerfachangestellten sowie ein Parallelverfahren einer Krankenhausangestellten unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze entschieden (9 AZR 266/20).

Das BAG hat festgestellt, dass wegen höherrangigen EU-Rechts und des dort normierten Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer/innen sich ein Arbeitgeber nicht auf die Verjährung nach deutschem Recht berufen darf, wenn es dem Arbeitnehmer innerhalb der Verjährungsfrist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich war, den Urlaub auch anzutreten.

Damit hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach, wie bei einem Fließband, jedes Jahr ein neuer Urlaubsanspruch entsteht und Alturlaub nach gewisser Zeit verfällt oder verjährt.
Bislang hatte ein Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber nicht auf noch bestehende Urlaubsansprüche hingewiesen wurde, einen Schadensersatzanspruch gemäß § 249 BGB das noch Urlaub gewährt werden müsse.
Dieser Anspruch unterlag aber den allgemeinen Verjährungsregeln (3 Jahre).

In Übereinstimmung mit der EuGH-Entscheidung hat das BAG in beiden obigen Verfahren entschieden, dass die Urlaubsansprüche/ Schadensersatzansprüche nicht verjähren, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt hat, den Urlaub auch tatsächlich anzutreten.

Häufigster Fall (bei der Steuerfachangestellten) ist die Urlaubssperre im Dezember wegen der zu erstellenden Jahresabschlüsse.
Ähnliche Regelung gibt es aber auch in anderen Branchen, z. B. in Teilen der Gesundheitspflege, wenn durch saisonale Erkrankungen plus Feiertage Krankenhauspersonal überlastet ist oder denkbar auch aufgrund vorheriger Lieferengpässe in Unternehmen Sonderschichten gefahren werden.

In all diesen Fällen muss der Arbeitnehmer zukünftig nicht mehr befürchten seinen Urlaubsanspruch zu verlieren, sondern die Arbeitgeber sind verpflichtet, den Urlaub tatsächlich zeitnah nachzugewähren oder wenn dieses aufgrund Langzeiterkrankung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr geht, den Urlaub gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

Eine Berufung auf die Verjährung des Anspruchs ist in diesen Fällen nicht mehr zulässig.

Nur in den Fällen in denen ein Arbeitnehmer in Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Jahresurlaub „anspart“, weil er z. B. eine längere Reise plant und der Arbeitgeber ihm aber im laufenden Kalenderjahr Urlaub gewähren wollte und konnte, der für spätere Zeit geplante Urlaub dann aber z. B. aufgrund eines Unfalles nicht mehr angetreten werden konnte, nur dann kann sich der Arbeitgeber noch auf die Verjährung des Urlaubsanspruchs berufen, weil er ja nicht die Ursache gesetzt hat.

Fazit:

Arbeitgeber und Betriebsräte sollten aus Anlass der Entscheidung des BAG über die Vereinbarung von Betriebsferien reden, sofern es eine solche Vereinbarung nicht bereits gibt.

Weiterhin sollten alle Personalleiter sowohl im privaten Unternehmen, als auch in öffentlichen Betrieben und Verwaltungen den tatsächlichen Stand der Urlaubsansprüche der Beschäftigten im Blick haben und spätestens im Dezember die Beschäftigten auf noch bestehende Urlaubsansprüche (schriftlich) hinweisen und auf eine Beantragung des Urlaubs durch die Beschäftigten und die tatsächliche Gewährung hinwirken.

Wenn dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, sollte im folgenden Kalenderjahr darauf geachtet werden, dass sich kein „Urlaubsberg“ auftürmt und Urlaub vorrangig den Beschäftigten gewährt wird, die noch Altansprüche haben.

Weiter und dies ist aber nicht neu, gilt obiges für den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Darüberhinausgehende einzelvertragliche oder tarifvertragliche Urlaubsansprüche bleiben von der Entscheidung des BAG unberührt.

An die Entscheidung des BAG sind alle Arbeitgeber, private und öffentliche, gebunden.
Die Entscheidung des BAG unterstreicht auch nochmal in besonderer Weise wie wichtig die bereits im Frühjahr von Bundesminister Heil angekündigte Umsetzung der EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung und Dokumentationspflicht des Arbeitgebers ist (vergleiche den letzten Blog-Beitrag), denn nur wenn tatsächlich geleistete Arbeitszeit, Freizeitausgleich und Krankheits- und Urlaubszeiten vollständig erfasst werden und die Daten hierzu den Arbeitgebern und Beschäftigten zugänglich sind, kann die Rechtsprechung des BAG zum Urlaubsanspruch, die seit 2010 dem EuGH hinterherhinkt, auch ohne Vorlagebeschlüsse beständiger und langlebiger werden.

Der Gesetzgeber bleibt also in der Pflicht.

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