09.06.2022, AO Redaktion
Arbeitszeit: Chaotische Zeiten auf dem Markt für Zeiterfassung
Seit dem Jahr 2020 ist die Zeiterfassung in aller Munde - aufgrund von Corona-Ausbrüchen bei Fleischproduzenten. In der begleitenden Debatte wird eine digitale Zeiterfassung für die jeweiligen Betriebe gefordert. Doch eine Lösung zu finden ist auf dem unüberschaubaren Markt zur Odyssee geworden.
Früher war nicht alles einfacher. Aber manches. Als es lediglich zwei bis drei Anbieter für ein Produkt gab. Mayonnaise? Klar, Thomy oder Kühne, was sonst. Und wer eine Cola wollte, der griff entweder nach einer Coke oder einer Pepsi. Viel mehr gab es ja auch nicht.
Doch mittlerweile sieht es in den Supermarktregalen anders aus. Das überreiche Sortiment und eine schier endlose Produktvielfalt erschlagen nahezu die Kunden. Egal, um welches Gut es geht – etliche Anbieter konkurrieren heute um die Gunst der Verbraucher.
Unübersichtlicher Markt für Zeiterfassungssysteme
Auf dem Markt für Zeiterfassungssysteme herrschen heute ebenfalls Unübersichtlichkeit und – wenn man so will – Chaos. Um die 100 Anbieter buhlen aktuell in Deutschland um Kundschaft. Einige davon recht dreist. Da finden sich bei einer Google-Suche Dutzende Zeiterfassungstools; einigen davon ist rasch anzumerken, dass ihre Erschaffer lediglich auf den schnellen Erfolg aus sind. Sie bieten keinen unterstützenden Support, keine Kunden-Hotline und verfügen oft über undurchsichtige Preismodelle. Der Eindruck, der unweigerlich bei den Interessenten entsteht: Der Anbieter hat einmal programmiert, jetzt soll es bitteschön Geld regnen.
Dass Zeiterfassungslösungen ausgerechnet jetzt wie Unkraut aus dem Boden schießen, ist kein Zufall. Durch das EuGH-Urteil vom Mai 2019, das eine verpflichtende Aufzeichnung von Arbeitszeiten vorsieht, herrscht großer Bedarf in HR-Abteilungen und Chefetagen nach derartigen Systemen. Denn niemand weiß, wann der deutsche Gesetzgeber das EuGH-Urteil – das aktuell wie ein Damoklesschwert über deutschen Unternehmen schwebt – in geltendes Recht umwandelt.
Zudem haben die Corona-Ausbrüche in diversen fleischverarbeitenden Betrieben veranschaulicht, was die Folgen sind, wenn kein Zeiterfassungssystem im Einsatz ist: Es mangelt an Transparenz. Denn ohne Zeiterfassungsdisziplin kann niemand nachvollziehen, wer wo, wann und wie viele Stunden gearbeitet hat. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist die Nachverfolgung von Ansteckungsketten aber essenziell – aus betrieblicher Sicht ist hier eine digitale Zeiterfassung unerlässlich.
EuGH-Urteil sorgt für Druck
So richtig Druck verspüren Unternehmen infolge der Skandale bei den Fleischverarbeitern allerdings nicht, vielmehr entsteht der Druck infolge des EuGH-Urteils. Doch was genau fordert eigentlich die EU?
Die einzigen Vorgaben aus Luxemburg lauten: die Systeme zur Zeiterfassung müssen objektiv, verlässlich und zugänglich sein. Von Qualität ist in der Urteilsbegründung nichts zu lesen.
Rein rechtlich gesehen, können sich deutsche Unternehmen eine Billiglösung zulegen, um juristisch auf der sicheren Seite zu sein. Und in der Tat: Das Ein-Euro-Tool oder die Gratislösung sind schnell angeschafft.
Wer billig kauft, kauft doppelt
Aber wie etliche Personalleiter und Assistenten der Geschäftsführung wissen (die in aller Regel als Projektleiter mit der Anschaffung von Zeiterfassungslösungen betraut sind), ist die Halbwertszeit solcher Tools gering. Fehlende Funktionen, mangelnder Support, keine Updates – das erfordert schon bald die Anschaffung eines neuen, besseren Zeiterfassungstools.
Wer billig kauft, kauft eben doppelt. Und als Projektleiter möchte man nicht unbedingt ein Jahr später abermals vor seinem Chef stehen, mit der Aussage: „Wir brauchen ein neues Tool für die Zeiterfassung.“
Ein weiterer Grund spricht gegen günstige Insellösungen: Schon bald, nachdem sie eine Zeiterfassung eingekauft haben, stellen etliche Unternehmen fest, dass sie noch weitere HR-Funktionen benötigen.
Konkret: Ist eine digitale Zeiterfassung erst einmal eingeführt, wollen viele Geschäftsführer und Personaler gern weitere HR-Felder digitalisieren. Etwa das Bewerbermanagement oder die Abwesenheitsverwaltung (Urlaub, Krankmeldung, Mutterschutz etc.). In der bisherigen Logik würden sie dann eine weitere Silo-Software einkaufen müssen, also eine Software, die lediglich aus einer einzigen Funktion besteht.
Die Zeit und das Geld allerdings, die in einen solchen Step-by-Step-Prozess investiert werden müssen – bei dem ein Bereich nach dem anderen digitalisiert wird – ist nicht effizient, in vielen Fällen sogar schädigend. Denn oft ist es so: Die Insellösungen harmonieren nicht miteinander; es kann nicht interfunktionell gearbeitet werden.
Ein Beispiel: Zwar lohnt sich ein digitales Bewerbermanagement allemal. Doch was geschieht nach dem Onboarding, wenn aus dem Kandidaten ein Mitarbeiter wird? Da müssen seine Bewerberdaten in Mitarbeiter- bzw. Stammdaten geändert werden. Dafür aber sind viele Bewerbermanagementtools nicht ausgelegt. Die Daten müssen Unternehmen dann manuell in ein zweites Tool, etwa eine Personalmanagementsoftware, einpflegen. Das bedeutet doppelte Arbeit und keine Entlastung.
Das Gleiche gilt bei der Zeiterfassung. Aufgescheucht vom EuGH-Urteil, suchen nun viele HR-Profis und Change-Manager hektisch nach einem adäquaten System. Aus rein notwendiger Sicht spricht nichts gegen Niedrigstpreislösungen aus dem Internet.
Doch Qualität ist das A und O bei der Auswahl eines Zeiterfassungssystems, das mehr kann als die reinen Arbeitszeiten zu erfassen. Neben einer einfachen Zeitbuchung sollte eine Software weitere Funktionen mitbringen, darunter das Hinterlegen von Arbeitsplänen, Soll- und Überstunden, die Verknüpfung mit einem Zeiterfassungsterminal, die Auswertung von Kennzahlen und die Erstellung von Berichten, das Ein- und Ausstempeln via Smartphone sowie die Möglichkeit für Kurzarbeitspläne.
Fazit
Wer sich heute auf die Suche nach einer geeigneten Zeiterfassungslösung begibt, hat die Qual der Wahl. Bei der Auswahl spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Funktionalität, Schnittstellen, Langlebigkeit, Preis, Support, Bedienbarkeit.
Die Ein-Euro-Tools, die kostenlosen Lösungen sowie die Inselsoftwares werden Kunden aber – wenn überhaupt – nur kurzfristig glücklich machen.
Qualität ist eben mehr, als einfach nur von A nach B zu kommen. Man denke nur an den Unterschied zwischen einem Yugo 45 und einem Audi 80. Mit beiden kann man fahren. Die Frage ist nur: wie komfortabel und wie lange?
Quelle: F.A.Z.-Personaljournal (www.faz-personaljournal.de)
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